Interview: Die IZB in Zeiten des Umbruchs

Ein Interview mit Wendelin Göbel (im Bild links), Sprecher des Vorstands der Wolfsburg AG  und Josef Schulze Sutthoff (im Bild rechts), Leiter der IZB.

Seit der letzten Messe vor vier Jahren hat sich in der Branche viel getan. Dazu zählen die Elektrifizierung und Digitalisierung von Produkten und Leistungen. Kann die IZB 2022 diesen Umbruch abbilden?

Wendelin Göbel: Ob Corona, Chip-Krise, Lieferketten, Ukraine-Krieg oder Finanzierungsthemen: Die Automobilbranche hat wie kaum eine unter den Rahmenbedingungen der letzten Jahre gelitten. Der Umbruch wird sich natürlich auf der Messe widerspiegeln. Denn auch wenn nach wie vor Verbrennungsfahrzeuge gebaut werden, sind alternative Antriebe und das Autonome Fahren die Themen, die Entwicklungen vorantreiben. Und die IZB bietet einen entscheidenden Mehrwert: Es gibt keine zweite Messe, auf der diese Vielzahl an Zulieferern zusammenkommen und ihre neuen Themen erstmalig in der Öffentlichkeit präsentieren. Im Vordergrund steht der direkte Kontakt zwischen Lieferanten und OEMs, um sich durch den persönlichen Austausch auch neue Kooperationen zu erschließen.

Wie entwickeln Sie die Messe weiter?

Josef Schulze Sutthoff:  Wir analysieren die Messen der Vergangenheit und beobachten Trends, die nicht nur die Automobilbranche sondern auch die Messewirtschaft betreffen. Deshalb entwickeln wir - auch auf Basis unserer Marktforschungsergebnisse - die Messe konzeptionell weiter und erproben einzelne Bausteine, wie hybride Formate, in diesem Jahr. Naturgemäß stehen das Präsentieren sowie Kaufen und Verkaufen von Produkten und Dienstleistungen weiterhin im Zentrum der Messe. Daneben gewinnt die Rolle als „Inspirator“, sprich Ideengeber, in Zeiten immer kürzer werdender Innovationszyklen, insbesondere im Softwarebereich, an Bedeutung. Auf unserem als Coworking-Stand angelegten Software-Marketplace, bieten wir den entsprechenden Anbietern aber auch den Herstellern wie Volkswagen dafür eine Bühne und Austauschplattform zugleich.

Wie wollen Sie auch mit den digitalen Möglichkeiten die Messelandschaft der IZB bereichern?

Josef Schulze Sutthoff: Insgesamt wollen wir neue Formate erproben und spannende Inputgeber sowohl in Präsenz als auch virtuell zur Messe holen. Wir nutzen eine digitale Plattform für die Übertragung der Live Stage-Formate und bieten ein professionelles Matchmaking an. Das reicht von Trendtalks und Pitches bis zu Keynotes zu den Schwerpunktthemen der IZB. Durch die digitale Übertragung der Inhalte erhöhen wir die Reichweite und schaffen wertvollen Content für die IZB-Community weltweit.

Allerdings ist uns bei allen virtuellen Möglichkeiten eines klar: Die IZB ist im Kern eine Präsenzmesse. Das Vor-Ort-Erlebnis ist etwas Exklusives und Unmittelbares. Und Wolfsburg ist dafür ein einzigartiger Ort, weil nirgendwo sonst neben den Einkäufern auch so viele Entwickler in Kontakt treten und sich austauschen können. Schließlich sind es gerade die zufälligen Begegnungen und Gespräche am Rande, aus denen sich neue Möglichkeiten für alle Seiten ergeben können. Diese Momente machen die IZB so wertvoll.

Der Volkswagen Konzern mit seinem Heimatsitz in Wolfsburg ist einer der globalen Schrittmacher der Mobilitätsbranche. Die Zulieferer müssen das Tempo mitgehen. Wo sehen Sie Herausforderungen und Chancen?

Wendelin Göbel: Mit dem elektrifizierten und autonom fahrenden Auto treten auch Unternehmen anderer Branchen in die automobile Wertschöpfungskette ein. Prozesse und Produkte müssen angepasst werden, es entstehen neue Schnittstellen und Kooperationen. Auch Nachhaltigkeit sowie „grüne“ Produkte und Logistik sind langfristig wichtige Themen. Gleichzeitig wirken sich gesamtgesellschaftliche Veränderungen und weltweite Krisen wie die Corona-Pandemie oder der Krieg in der Ukraine auch auf die Fahrzeugindustrie aus. Das hat Auswirkungen auf Lieferketten, auf die Verfügbarkeit und Kosten für Rohstoffe, betrifft aber auch Kundenbedürfnisse und Sicherheitsaspekte. Verbunden mit den für die Transformation anfallenden Investitionen entstehen daraus für viele Unternehmen erhebliche betriebswirtschaftliche Herausforderungen.

Ich vertraue aber der jahrelangen Erfahrung und der kontinuierlichen Verbesserung im Zusammenspiel zwischen OEM und Zulieferer. Auf dieser hervorragenden Basis lassen sich neue Produkte und Produktionsmethoden realisieren – gerade auch am Automobilstandort Deutschland. Die letzten zwei Jahre haben gezeigt, wie eng verwoben Zulieferer und Hersteller sind. Das ist ein Vorteil in dieser herausfordernden Zeit, die ein ganz intensives Miteinander notwendig macht.

Welche Botschaften könnten noch von der IZB ausgehen?

Wendelin Göbel: Wir wollen ganz klar signalisieren: Ja, Zulieferer und OEMS nehmen die Herausforderungen gemeinsam an und werden die Zukunft der Mobilität mit neuen Technologien meistern, auf nachhaltige Art und Weise. Ganz gleich, ob es sich um CO2-Vorgaben oder den sparsamen Umgang mit wertvollen Ressourcen handelt. Aber das wird nur funktionieren, wenn alle Beteiligten an einem Strang ziehen. Dafür bietet die IZB eine ausgezeichnete Plattform.

Josef Schulze Sutthoff: Die IZB sendet eine weitere Botschaft aus: Wir sollten uns immer wieder bewusst machen, dass es sich nach wie vor um die Herstellung eines großen Devices handelt, das viele Teile beinhaltet. Auch ein Elektrofahrzeug hat in der Regel immer noch vier Räder. Es geht nach wie vor um hohe Qualität für alle Einzelteile und um Sicherheit. Das heißt: Die Bestands- und Hardwarelieferanten spielen weiterhin eine genauso wichtige Rolle. Sie tragen sehr viel zur Wertschöpfung bei und bilden die stabile Basis, auf der Elektromobilität und weitere Innovationen überhaupt erst möglich sind.

Ab 2026 soll hier in einer komplett neuen, hochmodernen Fertigungsstätte das Modell „Trinity“ vom Band laufen. Welche Impulse erwarten Sie davon für die Zulieferindustrie?

Wendelin Göbel: Wir können überaus positiv nach vorne schauen. Neben der neuen Fertigungsstätte sind weitere zukunftsweisende Investitionen am Standort Wolfsburg geplant. Dazu gehört der TE-Campus, in dem Tausende Ingenieurinnen und Ingenieure mit modernsten Methoden und Arbeitsweisen in neuen Arbeitsumgebungen arbeiten werden. Auch die Volkswagen Software-Tochter CARIAD ist hier am Standort aktiv. Natürlich verdeutlichen die Fertigung eines E-Modells im Werk und der Bau einer Fertigungsstätte für das Modell „Trinity“ in besonderem Maße die rasante Transformation des Volkswagen Konzerns zum Mobilitätsdienstleister. Die zukünftige Modellwelt von Volkswagen bietet mit seinen komplexen Innovationen viele neue Möglichkeiten für Zulieferer. Denn eines ist uns bewusst: innovative Technologien entstehen bei Volkswagen und genauso bei den Lieferanten. Alles wird sich um die Frage drehen, wie die Zulieferer in der Region gemeinsam mit Volkswagen die neuen Produkte erfolgreich und in kurzen Zyklen umsetzen können. Und dafür bieten sich allen Akteuren enorme Entwicklungspotenziale im Bereich des autonomen Fahrens, der Elektrifizierung, der Digitalisierung, aber auch der Hardware.

Wenn die Geschwindigkeit der Entwicklungszyklen rasant zunimmt, was bedeutet das dann für den Informationsaustausch zwischen Hersteller und Zulieferern? 

Josef Schulze Sutthoff: Die angesprochene Thematik macht noch einmal deutlich, was unsere Marktforschung untermauert hat. Es zeigt sich ein starker Trend, dass im Gegensatz zur Vergangenheit nicht nur die Zulieferer ihre Angebote auf der IZB präsentieren, sondern auch Volkswagen sehr stark interessiert ist, auf möglichst vielen Ebenen und mit möglichst vielen Informationen die Zulieferer frühzeitig zu adressieren. Wir erleben also eine noch stärkere Entwicklung vom Marktplatz hin zum Kommunikationsplatz. Wie bereits angesprochen, müssen in Zeiten kürzer werdender Produktzyklen alle Anforderungsprofile  möglichst beiderseitig umfänglich und früh bekannt sein. Auch in dieser Hinsicht wollen wir auf der IZB den Informationsaustausch auf allen Ebenen zwischen den Zulieferern und Volkswagen fördern.

Was lässt sich von der viel beschworenen „Zukunft“ der Mobilität heute schon in Wolfsburg erleben?

Wendelin Göbel: Wir zeigen, dass sich die Zukunft der Mobilität am Heimatstandort von Volkswagen sehr gut darstellen lässt.Hier wird die Mobilität von morgen bereits heute an vielen Stellen gelebt. Die Stadt Wolfsburg und Volkswagen haben 2016 sehr vorausschauend die Initiative #WolfsburgDigital ins Leben gerufen. Als Modellstadt und Modellregion zeigen wir unter anderem, wie der Weg zur Smart City, der Ausbau zukunftsweisender Infrastruktur und der vernetzten Mobilität aussehen kann. Diese Anwendungen, von der intelligenten Ampelsteuerung bis zum innovativen Parkleitsystem, bündelt das Testfeld Digitale Mobilität Wolfsburg. Es ist an das Testfeld Niedersachsen angebunden und bietet ein hoch spannendes Umfeld für die Entwicklung und Erprobung von vernetzten Mobilitätslösungen im urbanen Kontext. Wir als Wolfsburg AG sind hier mitten im Geschehen und koordinieren die Aktivitäten der unterschiedlichen Partner aus Wirtschaft, Verwaltung und Wissenschaft. Übrigens können Besucher der Messe auch Beispiele der eben angesprochenen Aktivitäten aus den Reallaboren Wolfsburgs auf der IZB erleben.

Stellen Sie sich vor, die IZB 2022 würde hinter uns liegen. Was wäre für Sie das Zeichen für einen erfolgreichen Messeverlauf?

Josef Schulze Sutthoff: Für mich wäre es der größte Erfolg und das höchste Lob, wenn unsere Besucher – ob Volkswagen oder Zulieferer – sagen würden: ‚Ich komme wieder.‘ Ein weiterer Beleg für eine erfolgreiche Messe wäre es, wenn es uns gelänge, die IZB auch im digitalen Feld zu verankern. Wir wollen über die Präsenzmesse hinaus zusätzliche Kontaktmöglichkeiten schaffen und uns im digitalen Raum noch umfangreicher positionieren. Ich denke, dass es alle Beteiligten weiterbringt, wenn wir wertvollen Content auch jenseits des Veranstaltungsortes generieren und zielgruppengerichtet weiterleiten. Das wird fraglos den Nutzen der Messe und die Kontakthäufigkeiten erhöhen. Auch dazu werden wir auf der IZB 2022 praktische Erfahrungen sammeln.

Wendelin Göbel: Ich denke, wir hätten dann eine attraktive Messe auf die Beine gestellt, wenn die Besucher möglichst viele ‚Wow-Effekte‘ mitnehmen würden und sich durch die IZB neue Chancen für die Zukunft ergeben. Dann wären auch die aus meiner Sicht drei zentralen Begriffe für die die IZB steht, deutlich geworden: 1. Diversität und Internationalität: Hier zeigt sich die Vielfältigkeit der Potenziale der Automobilindustrie mit Blick auf die zukünftige Mobilität. 2. Nachhaltigkeit: Wir nehmen die damit zusammenhängen Herausforderungen an und übernehmen Verantwortung für die Zukunft, weil wir dafür die entsprechenden Technologien haben oder noch entwickeln werden. 3. Transformation: Damit verbinden wir die Hoffnung, dass wir in einem intelligenten Prozess Arbeitsplätze und Wohlstand sichern und dieser von den Menschen mitgetragen wird.